Fremde Haut Fremdgehen

Wenn man den Statistiken glauben mag, gehen ein Großteil der Männer und eine wachsende, mittlerweile fast gleich große Zahl der Frauen fremd. Das Internet trägt natürlich seinen Teil dazu bei, in dem es ein altes Sprichwort bestätigt: „Gelegenheit macht Diebe“.

Zum einen verändert das Netz Moralvorstellungen insofern, als durch seine anarchische Struktur auch teils fragwürdige Wertvorstellungen eine Plattform erhalten, die diesen im praktischen Leben nicht möglich wäre, andererseits schafft es auch ein Füllhorn von Kontaktmöglichkeiten, die in ihrer Menge real kaum zu realisieren sind, zumal dann, wenn man in sich einer festen Beziehung mit geregelten zeitlich Abläufen befindet.

Doch was bewegt Menschen dazu, sich real oder online eine kürzere oder längere entweder nur erotische, oder auch amouröse Erfahrung zu suchen?

Es gibt eine Form von Nähe, die einem nur die Partnerschaft geben kann und die von großer, fast allumfassender Bedeutung ist. Diese Nähe hat aber nicht unbedingt zuerst mit erotischer Nähe zu tun, sondern mit einem Gefühl von Geborgenheit und Verlässlichkeit, das man nicht für das Linsengericht einiger schneller sexueller Erlebnisse aufs Spiel setzen möchte.

Eine Folge dieser Art von Verlässlichkeit ist aber auch eine starke Gewöhnung aneinander, und wo man positiv sagen kann: „Ich habe mich so an dich gewöhnt.“, so muss man in der Paarbeziehung sehr darauf achten, dass aus dieser positiven Gewöhnung nicht ein „Du bist mir so gewöhnlich geworden.“ wird. Sicher sollte ein Großteil der Beziehungsarbeit ihr Augenmerk darauf legen, was aber im Alltag, der allzuoft von einer rasanten Eigendynamik geprägt ist, sehr häufig vernachlässigt wird.

Deshalb aber, laufen nicht nur schon beschädigte Beziehungen Gefahr, zum Opfer einer Affäre zu werden, sondern auch sehr gut funktionierende Partnerschaften, und darunter auch solche, in denen die Erotik durchaus noch einen besonderen, wenn, vielleicht auch zu Recht, nicht mehr den ersten Stellenwert hat.

Irgendwann, durch welchen Zufall, oder welchen Vorsatz auch immer, tritt jemand Neues in das Leben eines Partners – jemand, mit dem man durchaus unterschiedliche Erwartungen verbinden kann, der aber immer eine Spannung zu verheißen scheint, die einem der Beziehungsalltag scheinbar nicht mehr zu schenken vermag.
Man entdeckt das aufgeregte Herzklopfen wieder und eine erotische Stimulation, die in vielen langjährigen Beziehungen vermisst wird, wobei man auch hier nicht übersehen sollte, dass der vertraute Sex mit dem Partner eine große seelische und körperliche Qualität in sich birgt, die aber vor dem Hintergrund des Prickelns, das sich am Horizont abzeichnet, allzu schnell verblasst – wenn nicht dauerhaft, so aber zumindest vorübergehend.

Es ist aber ein recht wahrscheinliches Prinzip des Rauschhaften, wie z.B. einer überraschenden sexuellen Begegnung, dass es nach dem Raketenprinzip steil nach oben geht, und nach einem kurzen Parabelflug der Schwerelosigkeit in einem jähen Absturz enden kann. Bedauerlich nur, dass die Rakete beim Aufprall oft tief in der Erde dringt und damit qualitativ an einem Punkt endet, der noch unter dem Ausgangspunkt liegt, der vielleicht nicht ganz so spannend, aber dennoch vertraut und geliebt ist.

Gefährlicher sind da schon intensivere Begegnungen, die das Klischee des „andere Haut spüren zu wollen“ insofern übersteigen, als da ganz viel Zärtlichkeit und Verschmelzung zu sein scheint – eine Intensität, die man mit dem Partner, für etwas anderes, ebenso Tiefes, nicht mehr hat, und die man „im Rausch“ losgelöst von Alltagssorgen spüren kann. Man ist dann mit dem anderen Menschen auf Wolke Sieben und muss zusehen, die Bodenhaftung zum Vertrauten und Sicheren nicht zu verlieren.

Wenn man sich dann von seinem Partner trennt, wird man aber oft bemerken, dass vieles mit dem anderen auf Projektionen gegründet ist, und dass einem die Sehnsucht nach diesem, womöglich ganz besonderen, Menschen, insofern einen Streich spielt, als eben jene Sehnsucht, so real sie sein möge, sich gerne als Liebe maskiert und aufspielt und dass sie sich, wenn man den anderen dann wirklich „haben“ kann, verflüchtigt, ohne ein tragfähiges emotionales Äquivalent zu hinterlassen.

Insofern ist eine lange Beziehung immer ein Handel mit sich selbst. Man gibt Freiheiten und auch Abenteuer auf, für etwas anderes, ebenso Tiefes, dass aber den Vorteil der Beständigkeit und damit eines befriedigten und glücklich gemachten Urvertrauens bietet.

Was den Betrug selbst angeht, ist oberflächliches Moralisieren grundsätzlich keine gute Lösung.
Oft ist es so, dass z.B. ein Freundeskreis sehr eindeutig Position für den betrogenen Partner bezieht, während der vermeintlich Böse ausgegrenzt und isoliert wird, ohne dass jedoch die Außenstehenden über Gründe und Auslöser des Ausrittes voll orientiert sind.

Wenn man vom Fall des böswilligen Fremdgängers absieht, der trotz eigentlich intakter Verhältnisse rein aus sexueller Eigensucht handelt, sind sie Gründe für einen Fehltritt oft sehr komplex und werden auch von den beiden Betroffenen in der Ursprungsbeziehung auch oft nicht bewusst wahrgenommen und reflektiert.

Leider verhindert aber die zumeist berechtigte Verletzung des betrogenen Partners, dass man das Vergehen, so schmerzhaft und verstörend es auch war, als etwas begreift, dass es neben dem Sargnagel für die Beziehung auch sein kann – nämlich auch eine Chance, eine Beziehung zu retten, die womöglich vor dem Hintergehen des einen durch den anderen schon hochgradig defekt war, oder zumindest an einem Mangel an Kommunikation gelitten hat, der das Aussprechen von, durchaus nicht nur erotischen, Wünschen blockiert hat.

Eine Beziehung, die es schafft, eine vorübergehende Dreieckskonstellation als eine Art Paardepression zu begreifen, aus der das Paar nach einer Phase der Aufarbeitung, des Verzeihens und des langsamen Rückgewinns an Vertrauen, gestärkt hervorgehen kann, hat die Chance zu altem Glück zurückzufinden. Die Krise kann dann als Wendepunkt auf einem Weg, der bei aller Treue, in die endgültige Langweile und spätere Trennung geführt hätte, erlebt werden.

Und dann kann man endlich beginnen, jene Abenteuer zu suchen, die man auch zu Zweit erleben kann, an die man aber schon von Anfang an, oder zumindest seit langer Zeit nicht mehr geglaubt hat.

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