Halt Polizei

Es ist noch früh am Morgen. Die Sonne ist eben aufgegangen und der Verkehr auf der Autobahn fließt störungsfrei dahin. Aus meinem CD-Spieler klingt meine Lieblingsband, und obwohl ich kein begeisterter Autofahrer bin, genieße ich die Minuten für mich auf dem täglich gleichen Weg zur Arbeit, bevor mich Kollegen, Kunden und Vorgesetzte wie jeden Tag gegen eine geringe monatliche Aufwandsentschädigung in die Maske des freundlichen Hans Dampf zwingen, der für jeden stets ein offenes Ohr und eine hilfsbereite Hand zur Verfügung hat.

Die Autobahn ist durchaus befahren, aber noch lange nicht voll, und ich fahre jeden Morgen eine halbe Stunde früher als nötig, um dem Stau zu entgehen, der sich in in paar Minuten am Autobahnkreuz hinter mir in die Straße ergießen wird, als würde ein Vulkan heißes Metall speien und seine chromglänzende Lava in den engen Kanal zwischen den Leitplanken fließen lassen.

Ich blicke nach vorn, das Lenkrad locker in der linken Hand, während die Finger der rechten im Takt zur Musik auf meinen Schenkel trommeln. Neben mir auf dem Beifahrersitz finden sich wie immer mein Handy und mein Akkurasierer – beide Zeichen meines Morgenrituals, das einen Anruf bei meinem Sohn, kurz bevor er zur Schule geht, und eine Rasur bei 120km/h vorsieht.

Während ich mich mit meinem Gefährt geschmeidig durch die langsam anschwellende Woge des Berufsverkehrs schlängele, nähere ich mich einer jener typischen Lendkradschnecken, die sich angstvoll an ihr Volant krallen, die Nase an die Windschutzscheibe drücken und versuchen ihr Auto vernunftwidrig mit Hilfe des Bremspedals zum Ziel zu bugsieren.
Das Steuer in der Linken, den Rasierer in der Rechten und ein Auge im Rückspiegel, um die ordnungsgemäße Schur zu gewährleisten, lenke ich meinen Wagen routiniert auf die Überholspur und sehe im letzten Moment einen grünen Farbtupfer im Seitenspiegel aufpoppen.

Polizei!

Ich lasse den Rasierer fallen und setze blitzschnell den Blinker, um nicht unangenehm aufzufallen und wegen einer Lappalie ein Knöllchen zu bekommen, nur weil der Staat in Zeiten der Wirtschaftskrise auf jeden rostigen Heller angewiesen ist. Schnell bin ich an der Schnecke vorbei, entspanne mich etwas und steuere zurück auf die rechte Spur.

Mir ist immer ein bisschen mulmig, wenn unser aller Freunde und Helfer mir auf der Autobahn begegnen, und auch heute habe ich das Gefühl, dass sie es nur auf mich abgesehen haben. Irgendwie scheinen sie ihre Geschwindigkeit über aus exakt der meinen anzupassen und nur auf einen kleinen Fehler zu warten, um unter dem Deckmantel der Verkehrssicherheit das Säckel des Verwaltungswasserkopfes zu füllen.

Ich konzentriere mich aufs Fahren, überlege fieberhaft, wie nochmal die Abstandsberechnung funktioniert, und frage mich zweifelnd, wann ich zuletzt die Rücklichter auf ihre Tauglichkeit überprüft habe. Meines Wissens müssen sie in Ordnung sein, zumindest kann ich mich grob erinnern, sie zuletzt beim Beladen des Hecks am Baumarkt in Aktion gesehen zu haben.
Bei dem Bremsleuchten bin ich da gar nicht so sicher. Ich werde nervös und beginne meine Geschwindigkeit so zu wählen, dass ich nach Möglichkeit nicht bremsen muss.

TÜV und ASU sind ok, Reifenprofil sollte in Ordnung sein – aber Mist – habe ich eine Warnweste im Auto? Mich plagt das schlechte Gewissen und meine Hände werden zunehmend feuchter.
Trotz meiner nun defensiven Fahrweise lässt sich der nächste Schneckenüberholvorgang nicht vermeiden, ich besinne mich kurz der Position des Blinkers, der in meinen Augen ansonsten nur Staffage ist, drücke aufgeregt den Hebel nach unten und…

verdammt! –

rechts blinken, links überholen, und der Jagdinstinkt der grünberockten Exekutive wäre geweckt. Schnell den Hebel nach oben, kurz aufs Gas…

KRACK! –

der Rasierer – und die Beschleunigung des Wagens bleibt ein schöner Traum in der gerade den Horizont erklimmenden Morgensonne.

Während ich mich bemühe, aufrecht zu sitzen und überaus souverän zu wirken, versuche ich das brummende Teil mit den Füßen aus der Gefahrenzone zu bugsieren und hoffe, dass es nicht unter die Bremse gerät, während gerade ein LKW vor mir ausschert, um mit einem mehrminütigen Überholvorgang zu beginnen.

Geschafft!

Der Apparat brummt unter dem Vordersitz, der eben noch ersterbende Motor heult auf, und ich ziehe gekonnt nach links, um die vierrädrige Verkehrsbehinderung vor mir zu überholen.

Laut und vernehmlich höre ich plötzlich Blue Oyster Cults „Don’t fear the Reaper“ – mein Klingelton – vermutlich mein Sohn, der seinen Morgenanruf vermisst.
Die grüne Minna hat etwas aufgeholt, und ich kann unmöglich ans Telefon gehen. Blöderweise blinkt auch das Display meines Nokias hell auf, das ich mir ebenso blöderweise zugelegt habe, kurz bevor die Finnen deutsche Arbeitsplätze vernichtet haben. Ich schüttele innerlich den Kopf, frage mich ernsthaft, welchen Unterschied jetzt ein Sony Ericsson machen würde, und greife, stocksteif in den Sitz gepresst, nach recht, um das Handy auf den Bauch zu drehen.

Puh, das war knapp.

Meine Hände sind inzwischen schwitznass, mein Herz klopft wild in der Brust, und ich klammere mich mit aller Kraft ans Lenkrad , als würde es davonfliegen , wenn ich es nicht fest im Griff hielte.
Ich glaube, ich bin noch niemals zuvor so exakt geradeaus gefahren wie heute morgen und spüre eine Konzentration beim Fahren, die ich bei jeder anderen Gelegenheit für eine Verschwendung von
Ressourcen halten würde.

Ich bin so damit beschäftigt, die staatliche Ordnung über den Rückspiegel zu kontrollieren, dass ich fast den Anfang der Baustelle und das Schild übersehen hätte, dass fortan 80 zu fahren sind.
Ich trete voll in die Eisen. Der Wagen bockt kurz, wie ein Stier beim Rodeo, und der immer noch wie entfesselt brummende Rasierer rutscht wieder zwischen meine Füße. Mein Handy klingelt ein zweites Mal und, noch bevor ich reagieren kann, spüre ich, wie sich der grün-weiße Passat neben mich setzt.

Schweiß tropft von meiner Stirn, während Iron Maiden von CD, Blue Oyster Cult vom Handy und ein brummender Braun, untermalt vom Motorengeräusch, eine schräge Jam Session abhalten.

Wie schnell bin ich eigentlich? Normalerweise müsste ich ungefähr 83 fahren, immer ein Minimum schneller als erlaubt, um nicht verdächtig zu sein, etwas zu verbergen zu haben. Sicherheitshalber nehme ich kurz den Fuß vom Gas, weil ich nicht weiß, ob sich das Brummgerät unter die Bremse verirrt hat, und halte den Blick stocksteif geradeaus gerichtet, während die zweckentfremdete Familienkutsche mit dem lustigen blauen Licht auf dem Dach an mir vorbeizieht.

„Die könnten auch mal ’ne Farbberatung gebrauchen. Weiß, grün und blau geht ja gar nicht…!“, denke ich mir, während ich versuche so zu wirken, als seien mein Smart und ich ein einziger symbiotisch verbundener Cyborg auf vier Rädern.

Da – vor mir eine Ausfahrt – und noch bevor ich mir überlegen kann, hier abzufahren und des Rest meiner Fahrtstrecke auf der Landstraße zurückzulegen, weil einfach mal wieder viel zu viel Polizei auf der Autobahn ist, während Schwerverbrecher und Terroristen die Innenstädte überfluten – sehe ich erleichtert, wie die Polizeikutsche fast höhnisch blinkend die Ausfahrt nimmt.

Aaah, das tut gut. Der Schweiß brennt in meinen Augen, aber ich entkrampfe mich augenblicklich.
Mit dem rechten Fuß versuche ich den Rasierer in Reichweite meiner Hand zu schieben, greife nach rechts, um das Handy aufzunehmen und trete befreit aufs Gaspedal.
Als ich wieder nach vorne schaue, sehe ich sie:

die Kamera am Straßenrand.

Mein Wagen gerät ins Schlingern, während ich verzweifelt zu bremsen versuche. Leider muss ich bemerken, dass sich der Rasierapparat nun doch endlich im Schatten der Bremse versteckt hat, was deren Wirkung gegen Null tendieren lässt, und ich ergebe mich in mein Schicksal.
Ein roter Blitz scheint mein Cockpit auszufüllen, meine Hände rutschen vom Steuer und das nächste was ich sehe, ist ein Fernseher unter der Decke, ein weißes Laken auf meinem Bauch und mein rechtes Bein, dass, komplett eingegipst, mittels einer abenteuerlichen Konstruktion an einem Gestänge befestigt ist, während mein dicker Onkel vorwitzig und lustig orange leuchtend oben herauslinst.

Und das alles nur, weil die Polizei, statt Verbrecher zu fangen, harmlose Autofahrer jagt, die sich nichts zu Schulden haben kommen lassen, und die doch nur friedlich und störungsfrei zum Arbeitsplatz gelangen möchten.
Mich wundert gar nichts mehr, und ich wäre nicht überrascht zu hören, dass die ganze perfide Aktion minutiös geplant war, und schon mit dem ersten Auftauchen der Polizeikarre in meinem Rückspiegel begonnen hat, nur um an meinen Führerschein und mein Bares zu kommen.

Das nächste Mal, wenn ich was Grün-Weißes auf der Bahn hinter mir sehe, trete ich aufs Gas meines, notgedrungen neuen, Autos und mache, dass ich wegkomme. Alles andere ist mir zu gefährlich…

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