Brot

Donnerstag war ich beim Bäcker – viertel nach sechs, Feierabend. Vom Hunger angelockt wie eine lichtlüsterne Fliege, steuerte ich auf Rodenkirchens Topmeile einen Kölner Traditionsbäcker an und wurde durch zwei in kölsches Rot-Weiß gekleidete Grazien aufs Herzlichste begrüßt. Ich war erfreut, hier schien der Kunde König.

Im Zauber in dieser Euphorie verstieg ich mich waghalsig zu einem sündhaft kostspieligen Oberländer hell mit leuchtender Kruste, das im Widerschein des warmen Deckenlichts goldbraun und überaus verlockend schimmerte. Bepreist war es mit 2,55 Euro, doch das war es mir wert. Pawlovs berühmter Reflex wässerte mir Gaumen und Zunge wie der warme Sommermonsun die Reisfelder Asiens. Mein Magen jubilierte vorfreudig wie der Hund von Baskerville im Angesicht einer bedauernswerten Maid, die sich fahrlässig ins nachtschwarze englische Hochmoor gewagt und sich heillos verirrt hatte.

„Möschten Sie’s jeschnitten?“ recherchierte die kölsche Brotfachfrau in meinem Gesicht mit einem kaum noch energiegeladenen Lächeln. „Geschnitten und gefönt“, lachte ich verbindlich und in der Hoffnung auf einen charmegestützten satten Feierbandrabatt. Doch da hatte ich mich wohl ebenso geschnitten wie die Bäckersfrau das Brot, das sie fingerfertig in eine Plastihülle gleiten ließ, die dünner zu sein schien als eine zum Zerreißen gespannten Zellmembran kurz vor der Mitose. Aber gut, ich hatte Hunger.

Ich öffnete meine Geldbörse so fingerzitternd aufgeregt, als hätte ich das Glück, am Büstenhalter eines aufregenden Busenwunders zu nesteln, das aus irgendeinem Grund der Meinung war, ich sei das Sahnehäubchen auf der Crema dieses sich langsam in den Abend empfehlenden Tages. Ich lächelte verzückt und fingerte filigran das Innere meines Portemonnaies, um meine Münzen feinsäuberlich abgezählt in die stumpf klingende Schale tropfen zu lassen, die den mit allerlei Teigschätzen gefüllten Tresen zierte.

Merzenich2,65 Euro (in Worten: zweieurofünnwensexisch) schallte es mir brutal und bar jeder schonenden Vorbereitung entgegen. Ich stand wie vom Donner gerührt im Zentrum der mich jäh überfallenden Wirrnis, wie im Auge eines sich wild um mich drehenden Orkans und japste nach Luft. „K-k-k-ostet d-d-d-as B-b-brot-sch-sch-schneiden e-e-etwa G-g-geld?“ stammelte ich nach logopädischer Unterstützung heischend. Ich muss ausgesehen haben, wie eine trächtige Kuh im Löwengehege des Münsteraner Allwetterzoos, die gerade die Auferksamkeit der eben noch träge vor sich hindösenden Raubtierschar erregt hatte.

Fieberhaft überschlug ich den unverschämten Wucher für diese minimale Dienstleistung und kam zu dem Schluss, dass das Tranchieren des duftenden Backstücks ebenso teuer war wie mein monatlicher Haarschnitt beim Friseur meines Vertrauens. Dort kostete mich eine halbe Stunde liebevoller Betreuung bei frischem Türkentrank und tiefschürfenden Gesprächen 18 Euro (seitdem es politisch gewollt zu einem Mindestlohn gekommen war, der auch Friseurinnen ohne Vorstandsvorsitzendem an ihrer Seite ein rudimentär menschenwürdiges Leben ermöglichen sollte).

10 Cent für 10 Sekunden, hochgerechnet auf 30 Minuten Frisurtransformation, ergaben die gleichen 18 Euro, die ich auch für meinen standardisierten Haarschnitt auslegen musste, der allerdings inklusive duftendem Kaffee und hoch exaktem Brauentrimming daherkam. Eben wollte ich meine Stimme zum Protest erheben, als mir aufdämmerte, dass die beiden rot-weißen und recht drallen Elfen am allerwenigsten dafür konnten, dass mir die Lunge brannte und das Herz blutete, weil ich gerade geschröpft werden sollte, wie ein schwindsüchtiger Gaukler am Hof Pippin des Kurzen vor ca. 1300 Jahren.

Sie waren ganz hübsch in ihren eng sitzenden Bäckerei-Uniformen und sahen so aus, als würden sie morgens mit einem jener Geräte ins Kostüm geschossen, mit denen kurz vor der Weihnacht Nadelbäume in Verpackungsnetzen verstaut werden. Die Einsicht siegte, und ich zahlte den Aufpreis fürs Brotraspeln zähneknirschend und mit resigniertem Gesichtsausdruck, drehte mich auf dem Absatz um und schwor mir, nie wieder einen Fuß in dieses dubiose Etablissement zu setzen.

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