Krieg James Ryan Soldat

Kaum eine Kriegsszene in einem Film ist aufwühlender und realistischer gemacht, als die Landung an Frankreichs Küste in „Ein Soldat namens James Ryan“. Wie Ameisen springen Soldaten aus ihren Landungsbooten und waten schwer bepackt und schießend ans Ufer, an dem ein schier uneinnehmbarer Bunker der Wehrmacht sie erwartet, bemannt mit Soldaten des Gegners und schweren Maschinengewehren.

Die amerikanischen GI marschieren nach vorne und sterben wie die Fliegen. Maschinengewehrfeuer rattert, Mörsergranaten schlagen ein, und verstümmelte Soldaten, denen Körperteile fehlen, und bei denen die Därme aus dem aufgerissenem Bäuchen quellen pflastern den Strand. Sanitäter robben zwischen ihnen hin und her, ein Arzt bestimmt mit einem schnellen und geübten Blick, wem geholfen wird und wer nur eine Morphiuminjektion bekommt, um möglichst schmerzfrei verbluten zu können.

Bedrückend, wie sich meine Haltung zu den dargestellten Greueln verändert.
Haben mich die ersten explizit gezeigten verstümmelten Gliedmaßen noch erschreckt und verstört, so spüre ich mit fortschreitender Dauer des brutalen Schlachtens, wie das schon zur Routine wird, wie sich mein Fokus wieder auf die Kampfhandlungen richtet, an denen die Hauptdarsteller beteiligt sind. Natürlich wird noch gestorben und versehrt, aber die stürzenden Leiber der Getroffenen verkommen zur realitätsnahen Staffage der filmischen Dramaturgie.

In einem Moment des Innehaltens denke ich mich zurück zu den realen Geschehnissen, die diesen bedrückenden Szenen die Vorlage geboten haben, und frage mich, was wohl in den Köpfen der jungen Männer vorgegangen sein muss, die in den Booten auf das Ufer zuglitten und die wissen mussten, dass die Eroberung der Gestade nach dem Muster eines einfachen blutigen Abzählreimes vor sich gehen musste. Es müssen so viele von ihnen geopfert werden, bis ein Teil den Weg an den Strand und in den toten Winkel des Bunkers schafft, aus dem heraus ein ebensolches Gemetzel an den vermeintlich „Bösen“ geplant und in Angriff genommen werden kann, die selbst schon jung, als Söhne, oder Väter kleiner Kinder von ihren Familien getrennt und in den Kampf geschickt wurden.

Ich bin selbst Kriegsdientverweigerer, noch zu einer Zeit, als Pershingraketen und der Nato-Doppelbeschluss den Blätterwald bestimmten, habe die letzten Jahre und das Ende des kalten Krieges erlebt. Doch interessiert mich hier nicht die moralische Frage, ob ein Krieg überhaupt zu rechtfertigen ist, sondern die Gedanken in den Köpfen jener, die sich an einem solchen Tag zum Opferlamm machen – ein Tag, von dem sie vermeintlich wissen mussten, dass ihr Überleben keine Frage kämpferischen Geschicks, sondern einfach eine Frage puren Glücks sein musste.

Was bewegte diese Soldaten voranzustürmen, obwohl sie ein tödlicher Kugelhagel erwartete?

War es der Glaube an die Gute Sache und die Liebe zu ihrem Vaterland? War es insofern heroischer Mut, der sie antrieb – ein Mut, der jegliche Gefahr im Vertrauen auf göttliche Fügung in den Köpfen auszublenden vermochte? Oder ist genau dieser Mut irreal, weil er nicht auf einer echten Überwindung der Angst beruht,nach dem man ihr wachen Sinnes ins Auge gesehen hat?

War es nicht vielmehr die Kombination eines starren Prinzips von Befehl und Gehorsam, gekoppelt mit einem sich gegenseitig Aufputschen, sowie einem Angebtriebenwerden durch die Vorgesetzten, der die natürlichen Selbsterhaltungsmechanismen außer Kraft gesetzt und durch eine widernatürliche Tollkühnheit ersetzt hatte?

Brauchte es wirklich mehr Tapferkeit, als die des ersten Schrittes, weil danach das Adrenalin die Führung in Geist und Körper übernommen hatte, während das Anrennen selbst wie in Trance erfolgte, bis eine Kugel tödlich traf, oder eine Granate einen Teil des Körpers vernichtete?

Wie wird wohl der Moment gewesen sein, wenn ein Geschoss den eben noch jugendlich starken Körper traf, so als sei er mit voller Wucht gegen eine Wand geprallt – ein Treffer, der den Atem raubte und die Beine unter dem Körper wegriss, bis man blutend und schreiend auf dem Boden lag, und, mit ein wenig Glück durch den Schock vor den ärgsten Schmerzen geschützt, aufs Sterben wartete?

Diese Fragen habe ich mir gestellt, und auch wieviel Unterschied zwischen diesem persönlichen, schmerzvollen Sterben, und dem unterkühlten Klang des Briefes von der Front an die Familie bestanden haben muss. Ein Mitglied der Familie sei im Kampf gefallen und habe große Tapferkeit bewiesen. Der Staat bedauert und betrauert den schweren Verlust und spricht sein Beileid dafür aus, dass ein junges Leben für ein vermeintlich höheres Ziel geopfert werden musste?

Mir wird wieder ganz klar, dass hinter der Zahl der Gefallenen in den Nachrichten immer die genau gleiche Zahl von Einzelschicksalen steht, die jeder ganz individuell Menschen hinterlassen, die sie liebten und die sie geliebt haben, und dass jeder Einzelne, trotz der Vermassung einer statistischen Zahl, einen ganz persönlichen Tod gestorben ist.

Und wieder, nach fast dreißig Jahren, bin ich mir sicher, dass ich wieder den Schritt von damals gehen würde. Zu töten und sich der Gefahr, getötet zu werden auszusetzen, darf immer nur meine persönliche Entscheidung sein und bleiben – und ich darf mir diese Entscheidung nie durch andere abnehmen lassen…

Und wieder nehme ich mir vor, mit meinem Sohn ein weiteres Gespräch zu führen….

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